Stuttgart/Freiburg, 10.
Februar – „Menschen mit einer geistigen Behinderung müssen beim
Krankenhausaufenthalt von Angehörigen oder einer ihnen vertrauten Person
begleitet werden. Andernfalls ist nicht gewährleistet, dass sie medizinisch gut
versorgt werden“, kritisieren die Caritasdirektoren in Baden-Württemberg
Johannes Böcker (Rottenburg-Stuttgart) und Bernhard Appel (Freiburg). Eine
Begleitung während des gesamten Aufenthalts im Krankenhaus sei von den
Angehörigen alleine nicht zu leisten. Daher brauchen Menschen mit geistiger
Behinderung für die Dauer der stationären Behandlung eine Assistenz. Es sei
unbedingt notwendig, dass die Krankenkassen und Sozialhilfeträger diese
Leistung in ihr Budget aufnehmen. Dies fordert die Caritas in Baden-Württemberg
zum Welttag der Kranken am 11. Februar.
Der Krankenhausaufenthalt
wird für Menschen mit einer schweren geistigen oder mehrfachen Behinderung
schnell zur Tortur: Sie verstehen nicht, was Personal und Ärzte sagen und
können sich ihnen nicht mitteilen. Ähnliche Probleme ergeben sich beim Besuch
des Zahnarztes oder Hausarztes. Zudem sind Menschen mit einer geistigen
Behinderung durch die hochgradig standardisierten Abläufe im Krankenhaus
überfordert.
Davon konnte sich Horst
Bantel überzeugen. Der Anwalt hat seine 24-jährige Tochter – sie ist
Epileptikerin mit einer geistigen Behinderung - bei einem zweiwöchigen
Klinikaufenthalt begleitet. Die Anwesenheit einer Vertrauensperson hält er für
unbedingt notwendig. Der Klinikalltag sei für geistig Behinderte schwer zu
durchschauen, nicht selten komme es dazu, dass sie bestimmte Behandlungen
verweigerten. „Bei meiner Tochter war es wichtig, zu erklären, warum sie nun
eine Infusion braucht. Das kostet Zeit.“ Zeit, die im straff organisierten
Klinikalltag vom Personal nicht aufzubringen sei, sieht Bantel. Für die
Betroffenen sei dies fatal, denn die fremde Situation löse auch vielfach Ängste
aus. Extreme Wutausbrüche oder langes Weinen habe er als Folge beobachtet,
berichtet Bantel, der sich auch in einer Einrichtung der Caritas als
Angehörigenvertreter engagiert.
„Eine gute Behandlung steht
und fällt mit den Angehörigen oder einer Assistenz“, so Johannes Böcker. Aus
Sicht der Caritas in Baden-Württemberg stehen Politik und die Kassen hier in
der Pflicht, die Voraussetzungen für ein Gesundheitssystem zu schaffen, das für
behinderte Menschen gleichberechtigt zugänglich ist. Mit der Unterzeichnung der
UN-Behindertenrechtskonvention 2009 hat sich Deutschland dazu verpflichtet, das
Recht auf selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung umzusetzen. Die
Caritas im Land weist darauf hin, dass dieses Recht nicht allein auf
Selbsthilfe- und Wohlfahrtsverbände bzw. auf die Betroffenen und ihre Familien
abgewälzt werden darf.
Daher setzt sich die Caritas
mit ihrer diesjährigen Jahreskampagne „Kein Mensch ist perfekt. Behinderte
Menschen: Menschen wie du und ich“ dafür ein, dass alle Lebensbereiche so
gestaltet sind, dass sich behinderte Menschen darin problemlos bewegen können.
Dies setzt ein barrierefreies Umfeld voraus. „Barrierefreiheit bedeutet in
diesem Kontext nicht nur, dass ein Gebäude für den Rollstuhlfahrer zugänglich
gemacht wird. Barrierefreiheit heißt: mit dem Patienten muss in einer leichten,
ihm verständlichen Sprache gesprochen werden“, macht Bernhard Appel deutlich.
Assistenten, die den behinderten Menschen täglich beim Klinikaufenthalt zur Seite
stehen, könnten diese Lücke aus Sicht der Caritas in Baden-Württemberg optimal
schließen. Zudem sei es erforderlich, die Pflegekräfte in Schulungen auf den
Umgang mit behinderten Menschen vorzubereiten.
Als Wohlfahrtsverband der
katholischen Kirche vertritt die Caritas in Baden-Württemberg über 3.900
Einrichtungen mit mehr als 180.000 Plätzen in unterschiedlichen Hilfefeldern,
in denen 59.000 Mitarbeiter/innen und 33.000 Ehrenamtliche tätig sind.