Die Caritas immer mitdenken
Im Rahmen der Kirchenentwicklung 2030 soll die Erzdiözese Freiburg künftig in 36 Pfarreien beziehungsweise Kirchengemeinden gegliedert werden. Die strukturelle Veränderung der diözesanen Landkarte tangiert die Dienste und Einrichtungen der Caritas ebenso wie der Prozess Kirchenentwicklung 2030 insgesamt. Als Mitglied der Projektgruppe Gesamtstrategie im Erzbischöflichen Ordinariat wirbt Diözesan-Caritasdirektor Thomas Herkert dafür, die Caritas immer mitzudenken. Und er ermutigt die Caritas dazu, sich auf der Ortsebene in den Entwicklungsprozess einzubringen.
Herr Herkert, welche Auswirkungen wird die künftige Pfarreistruktur für die Caritas in der Erzdiözese haben?
Herkert: Aus meiner Sicht wird diese Entwicklung derzeit noch viel zu eng und als lineare Fortentwicklung bestehender Strukturen gedacht. Natürlich ist es sehr wichtig für die Menschen in unseren Gemeinden zu wissen, wie sich die Pfarrgemeinden in Zukunft darstellen werden. Aber der Kirchenentwicklungsprozess greift viel weiter und viel tiefer ein. Zentrale Frage dabei ist: Wie stellen wir uns in Zukunft Kirche insgesamt vor? Was ist uns wichtig am Kirche-sein? Wie wollen wir unseren Glauben gemeinsam leben? Was ist er uns wert? Wollen wir als Christ*innen in unserer Gesellschaft erkennbar und auffindbar sein? Und wenn ja: Woran soll man uns erkennen? In welchem Zusammenhang stehen bei uns Gottesdienste, Glaubensverkündigung und caritatives Engagement? An diesen beispielhaften Fragen erkennen wir hoffentlich, dass es um sehr viel mehr geht als nur um die Struktur der Pfarrgemeinde. Wir sind aufgefordert, Kirche und ihre Caritas sehr viel weiter zu denken als bisher.
Worin bestehen die Herausforderungen für die Verbände, Einrichtungen und Dienste konkret?
Herkert: Zunächst ändert sich durch die Strukturreform natürlich auch der Bezugsrahmen für die Verbände, Einrichtungen und Dienste. Die bisherigen Seelsorgeeinheiten sind ja die Träger von Sozialstationen, Pflegeeinrichtungen, Kindertagesstätten und Familienzentren, um nur einige zu nennen. Da kommt viel Bewegung ins System, die wir aufnehmen und gestalten müssen.
Wie kann sich die Caritas in den Prozess einbringen und ihn mitgestalten - vor Ort, aber auch auf der Diözesanebene?
Herkert: Ich werbe sehr dafür, im Rahmen des "Kirche weiter denkens" die Caritas immer mitzudenken. Denn in der Zuwendung zu den Menschen und im Dienst an ihrem Menschsein vollzieht sich Kirche-sein genauso wie in den liturgischen und seelsorgenden Bereichen. Mir kommt das sehr oft zu kurz in den Diskussionen, welchen Stellenwert unsere Kirche in der Gesellschaft hat. Denn der caritative Bereich von Kirche ist sehr nah an den Menschen, weil er nah an ihren Nöten ist. Das Zusammendenken von Pastoral und Caritas birgt große Chancen auf allen Ebenen unserer Erzdiözese. Deshalb bringen wir uns sehr gerne in den Entwicklungsprozess ein und regen alle an, darüber auch auf der Ortsebene ins Gespräch zu kommen.
Welche Überlegungen und Prozesse braucht es dafür innerhalb der vielgestaltigen Caritaslandschaft?
Herkert: Wenn man sich auf Neues ausrichtet und das ernst nimmt, muss man auch die Bereitschaft mitbringen, Gewohntes, vielleicht sogar Bewährtes und Liebgewonnenes zurückzulassen. Sonst ist die Gefahr groß, keinen Raum und keine Energie für die Gestaltung des Neuen zu finden. Ich weiß, dass das ein wenig pauschal klingt. Aber am Anfang eines solch umfassenden Prozesses muss ich das in Kauf nehmen. Die Konkretionen werden sich im Prozess zeigen. Anders formuliert: Wenn irgendjemand schon einen fertigen Plan in der Tasche hätte, bräuchte es keinen solchen Prozess. Wir alle betreten Neuland, von den Menschen in den Gemeinden bis zum Erzbischof, und wir müssen den Mut zum Risiko mitbringen.
Welche Rolle spielt dabei der Diözesan-Caritasverband?
Herkert: Das ganz prägnant zu benennen ist nicht ganz leicht. Zwei Aspekte möchte ich besonders betonen: Wir müssen die erfrischend bunte Caritaslandschaft in unserem Erzbistum vernetzen, erkennbar und erfahrbar machen. Und wir werben dafür, dies als Wesensvollzug von Kirche und als Zeugnis für unseren Glauben zu sehen. Deshalb sind wir derzeit dabei, im Diözesan-Caritasverband eine eigene Stelle einzurichten, die sich um die Vernetzung und Kommunikation im Rahmen des Kirchenentwicklungsprozesses kümmert. Caritas ist sehr wichtig für die Beglaubigung der Frohen Botschaft und die Glaubwürdigkeit unserer Kirche.
Welche Entwicklungsmöglichkeiten und Zukunftsperspektiven sehen Sie für Kirche und Caritas in einer Gesellschaft, die immer vielfältiger und auch säkularer wird?
Herkert: Wenn wir lernen, unsere Gesellschaft mit all ihren Errungenschaften und ihren auch fragwürdigen Entwicklungen als Chance für unseren Glauben und unser Kirche sein zu sehen, dann können wir aus der Defensive herauskommen und - das meine ich sehr ernst - dieser Gesellschaft ein attraktives Angebot machen. Ich denke, es ist auch für nicht gläubige Menschen weltweit attraktiv, wenn Christ*innen sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen, Notleidende nicht allein lassen und sich für eine menschlichere Welt einsetzen. Ich finde es attraktiv, wenn wir deutlich machen, dass "katholisch" schon immer sehr vielgestaltig ist und multikulturell geprägt. Eine Weltkirche muss ja nicht immer als Hemmschuh für regionale Problemlösungen gesehen werden. Sie muss sich auch nicht als Glaubenspolizei profilieren. Sie kann auch Impulsgeberin sein. Ein Blick in das Neue Testament und die Geschichte der Kirche können unseren Blick dafür öffnen, dass Diversität und Pluralität keine neuen Phänomene und schon gar keine Bedrohung sind. Christ*innen haben sich schon immer mit unterschiedlichen Erfahrungen, Meinungen und Kulturen auseinandergesetzt und - vom Heiligen Geist geleitet - Lösungen gefunden, die von Respekt und Achtung füreinander geprägt waren. Sätze wie "das war schon immer so" und "da darf sich nichts ändern" halte ich für nicht sehr katholisch. Dies auch ganz unabhängig davon, wer sie als Argument nutzt.
Interview: Thomas Maier