Armut in Baden-Württemberg wirksam bekämpfen
Besonders betroffen sind Frauen im Rentenalter, Ein-Eltern-Familien, Kinder und Wohnungslose. Wie können wir das gemeinsam ändern?
Besonders betroffen sind Frauen im Rentenalter, Ein-Eltern-Familien, Kinder und Wohnungslose. Wie können wir das gemeinsam ändern?
Die Erfahrungen armutsbetroffener Menschen müssen unser Kompass auf dem Weg zu wirksamen Lösungen sein. Denn sie sind Expert*innen in eigener Sache. Doch bislang spielt ihre Fachexpertise bei sozialpolitischen Debatten und Entscheidungen kaum eine Rolle. Ein verbindliches Mitspracherecht armutsbetroffener Menschen in sozialpolitisch relevanten Gremien könnte das ändern. Um für diese politische Beteiligung mobil zu sein, wäre zudem ein kostenloses Deutschlandticket für Menschen unter der Armutsgrenze wünschenswert.
Die Nachfrage nach Sozialer Schuldnerberatung übersteigt die vorhandenen Kapazitäten bei Weitem. Es gibt bereits lange Wartezeiten und sogar Aufnahmestopps. Um die soziale Sicherheit der 11,3 Millionen Menschen in Baden-Württemberg zu garantieren, benötigen wir laut einem anerkannten Bedarfsschlüssel mindestens zwei Fachkräfte pro 50.000 Einwohner - also 452 Vollzeitfachkräfte.
Mit Eintritt in die Rente steigt das Armutsrisiko erheblich. Für 19 Prozent der über 65-Jährigen in Baden-Württemberg ist das bereits Realität - bei Frauen sind es sogar 21,5 Prozent. Eine einheitliche Mindestgrundrente ohne Antrag wäre ein revolutionärer Schritt, um die Würde im Alter für alle zu garantieren. Gleichzeitig brauchen wir innovative Ansätze, um die Rentenlücke zwischen Männern und Frauen zu schließen und die unbezahlte Care-Arbeit von Frauen wie Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen im Rentensystem angemessen anzuerkennen.
Aktuell leben 100.000 wohnungslose Menschen in Baden-Württemberg. Die präventive Arbeit der Fachstellen zur Wohnraumsicherung muss daher dringend flächendeckend ausgebaut werden, um Wohnungslosigkeit in Baden-Württemberg zu reduzieren. Ebenso wichtig ist die finanzielle Stärkung der Beratungs- und Unterstützungsangebote für wohnungslose Menschen wie beispielsweise Tagesstätten oder Wärmestuben. Denn immer mehr Menschen sind darauf angewiesen. Zurzeit werden 13.400 Menschen durch die freie Wohnungsnotfallhilfe betreut. Da es für beide Arbeitsbereiche keine rechtlich verpflichtende Finanzierung gibt, befürchten wir aufgrund des Haushaltsdrucks eine zukünftige Reduzierung durch die Kommunen. Dazu darf es nicht kommen, da diese Angebote für Menschen in Not die erste Anlaufstelle sind.
Fast jedes fünfte Kind und rund 43 Prozent der Ein-Eltern-Familien in Baden-Württemberg sind armutsgefährdet. Eine bundesweite Kindergrundsicherung wäre ein erster Schritt, um alle notwendigen Leistungen unbürokratisch zu bündeln und direkt den Kindern zugutekommen zu lassen. Doch Geld allein reicht nicht. Die Umsetzung der Familienförderstrategie, die präventive Angebote in den Bereichen Familienbildung, -beratung und -erholung stärkt, muss zeitnah und umfassend umgesetzt werden. Um Familien zu erreichen, sind qualifizierte Familienstützpunkte auf Basis einer Sozialraumanalyse erforderlich, die als Lotsen fungieren. Zudem müssen Orte der Familienförderung dauerhaft und infrastrukturell ausgestattet sowie barrierefrei - hinsichtlich regionaler Erreichbarkeit, Sprache und Benachteiligungsausgleich - gestaltet werden. Baden-Württemberg benötigt hierfür eine Infrastrukturförderung anstelle unberechenbarer Projektförderungen, welche die Angebotsqualität mindern.
Von Armut bedroht ist jede Person in Baden-Württemberg, die weniger als 60 Prozent des Landesmedians als Haushaltsnettoeinkommen zur Verfügung hat. 2023 waren das für einen alleinlebenden Erwachsenen 1.309 Euro und für eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren 2.748 Euro pro Monat. Armut wird konkret, wenn man sich zum Beispiel die Miete, eine gute Ernährung, digitale Teilhabe, den ÖPNV oder die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben nicht oder nur noch sehr eingeschränkt leisten kann.