Pflege zukunftsfähig organisieren
Als Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg mit fast 600 Einrichtungen und Diensten im Pflegesektor wissen wir, was es für eine zukunftsfähige Pflege braucht.
Als Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg mit fast 600 Einrichtungen und Diensten im Pflegesektor wissen wir, was es für eine zukunftsfähige Pflege braucht.
Die flächendeckende Versorgung von rund 625.000 pflegebedürftigen Menschen in Baden-Württemberg ist gefährdet – schon heute sind Wartelisten Realität. Der bevorstehende Ruhestand vieler Fachkräfte und der Mangel an Nachwuchs verschärfen die Lage, ebenso wie die angespannte wirtschaftliche Situation vieler Einrichtungen und Dienste. Hinzu kommt ein zu erwartender Anstieg auf insgesamt 800.000 Menschen, die bis 2060 auf Pflege angewiesen sein werden.
Wir können die ambulante Pflege revolutionieren, indem wir starre Leistungspakete überwinden und den tatsächlichen Zeitaufwand für individuell benötigte Maßnahmen abrechnen. Die Erfahrungen mit unserem Ansatz der IstZeitPflege für die ambulante Pflege bestätigt das. Nicht nur Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sind zufriedener, sondern auch die Pflegekräfte, welche durch unser flexibles Modell einen größeren Handlungsspielraum bekommen. Eine grundlegende Finanzierungsreform der Pflegeversicherung würde die notwendigen Freiräume für die flächendeckende Etablierung solcher und anderer Innovationen schaffen. Ebenso förderlich für Innovationen wäre ein Abbau der starren Sektorengrenzen zwischen ambulanter, teil- und vollstationärer Pflege. Auch einheitliche Pflegebudgets, die sich am konkreten Pflegebedarf orientieren und nicht an der Versorgungsform, sind ein wichtiger Bestandteil dafür.
Flexible Arbeitszeitmodelle, spürbare Entlastung im Berufsalltag, betriebliche Gesundheitsprogramme und die Reduktion administrativer Aufgaben durch Digitalisierung sind entscheidende Faktoren für einen attraktiveren Pflegeberuf. Auch die Akademisierung der Gesundheitsberufe kann zur Professionalisierung beitragen und neue Perspektiven eröffnen. Dafür braucht es klare gesetzliche Rahmenbedingungen und eine stärkere Verzahnung von Theorie und Praxis, beispielsweise durch geförderte Kooperationen mit Hochschulen. Beschleunigte und digitalisierte Anerkennungsverfahren sowie flächendeckende Begleitmaßnahmen wie Mentoring, Sprachkurse und Lernförderung können den Beruf darüber hinaus für ausländische Fachkräfte attraktiver machen. Eine Refinanzierung der Sprachkurse vor und während der Ausbildung durch die Landesregierung wäre ein starkes Bekenntnis für eine nachhaltige Fachkräftegewinnung.
Ein genereller Ausbau der Ausbildungsplätze ist unerlässlich. Dabei muss auf die regionale Verfügbarkeit von Praxiseinsätzen geachtet und ein flächendeckendes Fort- und Weiterbildungsangebot mit digitalen Modulen gewährleistet werden. Finanzielle Anreize für Auszubildende und Lehrende sind dabei eine Möglichkeit, die Pflegeausbildung attraktiver zu machen. Hier braucht es eine stärkere finanzielle Beteiligung der Pflege- und Krankenkassen im Rahmen des Ausbildungsfonds, damit Einrichtungen ihre Ausbildungskosten besser refinanzieren können. Auch Quereinstiegs- und Umschulungsprogramme können neue Talente für die Pflege gewinnen.
Angesichts der Tatsache, dass über die Hälfte der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt wird, muss Pflege stärker als bisher sozialräumlich gedacht und umgesetzt werden. Die Stärkung der Beratungsfunktion von Pflegefachkräften ist dabei ein wichtiger Bestandteil, um Angehörige, Nachbar*innen und andere informell Pflegende zu befähigen. Zudem kann die Förderung sozialräumlicher Netzwerke und generationenübergreifender Projekte die häusliche Pflege verbessern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Auch die Stärkung der Sozialen Altenarbeit und der flächendeckende Einsatz von Case-Management können dazu beitragen, Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern und Teilhabe zu fördern.
Eine konsequente Digitalisierung wäre ein enormer Fortschritt. Das vorgeschriebene Vorgehen zum Abschluss einer Pflegesatzvereinbarung zeigt das eindrücklich. So muss nach der Verhandlung jede Pflegesatzpartei händisch unterschreiben. Dieser Prozess kann durch Postversand, Krankheit und Urlaub mehrere Monate dauern. So lange haben die Einrichtung keine Rechtssicherheit zu den neu vereinbarten Pflegesätzen. Ebenso ineffizient sind die Regularien für medizinische Verordnungen, wie beispielsweise die Pflicht für Pflegeheime, auch bei irreversibler Inkontinenz regelmäßig Folgeverordnungen einzureichen. Eine Reform dieser Abläufe würde wertvolle Pflegezeit freisetzen.