Zwischen Markt und Daseinsvorsorge
Die Arbeitswelt verändert sich mit rasanter Geschwindigkeit. Mit am meisten vorangetrieben wird dieser Wandel durch die Digitalisierung. Dieser Entwicklung leistet derzeit die Corona-Pandemie weiteren Vorschub. Was diese Zeichen der Zeit für die Zukunft der Beschäftigungsförderung bedeuten, war Thema bei einem Fachgespräch der Diözesanarbeitsgemeinschaft(DiAG) Arbeit.
Wie gravierend diese Veränderungen sind und was sie für die Beschäftigungsförderung bedeuten, machten der Politologe Andreas Hammer, Dozent an der Hochschule Kehl und Ludwigsburg, und Jutta Driesch, die Chefin der Agentur für Arbeit in der Region Konstanz-Ravensburg, deutlich. Andreas Hammer konstatierte nicht nur eine Zunahme von atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnissen, die die "neue Normalität" seien. Er stellte auch einen Trend zur Individualisierung in der Arbeitswelt fest, bei dem gesellschaftliche Strukturen zunehmend aus dem Blick geraten. Das wirkt sich auch auf die Beschäftigungsförderung aus, die sich künftig stärker auf den Einzelnen und nicht mehr auf Gruppen von Arbeitslosen fokussieren muss. Angesagt sei ein "individuelles statt Gruppen-Coaching", so Hammer, der den Trägern den Rat gab, ihr Marketing mehr zu individualisieren: "Ein Flyer für alle wird nicht mehr reichen, es braucht mehrere".
"Not for profit" oder "for profit"
Erschwerend kommt für den Politologen, der selbst auf eine langjährige Erfahrung in der Beschäftigungsförderung zurückgreifen kann, hinzu, dass sich die Träger in einem Spagat zwischen "Markt und Daseinsvorsorge" befinden. Mit dem Teilhabechancengesetz können sie sich einerseits am Arbeitsmarkt orientieren, andererseits sind Caritas-Träger gemeinnützig unterwegs. Das führt in der Außenwahrnehmung dazu, dass sie im wirtschaftlich umkämpften Bereich der Arbeit als Konkurrenz zu Unternehmen gesehen und als "Armutsindustrie" betrachtet werden. Um politisch durchsetzungsstärker zu werden, müssten sie sich deshalb für einen der beiden Wege entscheiden, so Hammer: "not for profit oder for profit". Beides zu wollen, sei schwierig, zumal es auf EU-Ebene, über die viele Förderprogramme laufen, keine Gemeinnützigkeit gebe, wenn sie nicht eindeutig als Daseinsvorsorge definiert sei.
Wie sehr sich der Strukturwandel, beschleunigt noch durch Corona, auf den Arbeitsmarkt niederschlägt, veranschaulichte mit Zahlen aus der Region Konstanz-Ravensburg die Chefin der dortigen Agentur für Arbeit, Jutta Driesch. Vor allem in den Branchen Metall und Elektro, Gastronomie, Handel und in den kaufmännischen Berufen verzeichnete sie einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Bemerkenswert dabei: Besonders viele Fachkräfte und Spezialisten, darunter viele Frauen, sind vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffen.
Lernbereitschaft von allen Beteiligten erforderlich
Diesem nicht aufzuhaltenden Wandel in der Arbeitswelt könne nur begegnet werden, so Driesch, indem man die Chancen zur präventiven und frühzeitig beruflichen Weiterbildung nutze. Der Strukturwandel erhöhe massiv den Druck, sich beruflich anders zu orientieren, meinte sie: "Qualifizierung und Weiterbildung sind die einzige Möglichkeit und Chance in der Krise." Von allen Beteiligten, auch auf Seiten der Vermittler, sei die Bereitschaft zum Lernen und zur Veränderung erforderlich. Driesch sagte, in ihrer Arbeitsagentur würden deshalb Arbeitssuchende dahin gehend beraten, bei ihnen diese Lernbereitschaft zu fördern und die Bereitschaft zur beruflichen Veränderung überhaupt zu wecken. An der Vermittlung von digitaler Grundkompetenz führe dabei letztlich kein Weg vorbei. (tom)