Wohlfahrtsverbände warnen vor AnkER-Zentren
Die Wohlfahrtsverbände in Baden-Württemberg, darunter der Caritasverband für die Erzdiözese Freiburg, lehnen die Einführung von so-genannten AnkER-Zentren ab. Diese seien ein deutlicher Rückschritt hinter die bereits aufgebauten und funktionierenden Strukturen in Baden-Württemberg. Die Wohlfahrtsverbände reagieren auf jüngste Äußerungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer im ARD-Sommerinterview.
AnkER-Zentren sind integrationspolitisch fatal
Reinhold Schimkowski, Vorsitzender der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg, rief in einem Pressegespräch dazu auf, am Modell der Erstaufnahmeeinrichtungen festzuhalten. Dieses baden-württembergische Modell basiere auf seit 2015 erfolgreich aufgebauten Strukturen. "Wenn wir jetzt schon wieder alles umkrempeln, gefährden wir massiv das erfolgreiche System der Erstaufnahme in Baden-Württemberg. Asylverfahren werden verzögert statt beschleunigt", sagte Schimkowski. Statt neue Strukturen aufzubauen, sollten die bestehenden ausgebaut und verbessert werden. Die bestehenden Strukturen sind bestens dafür geeignet, zügig und rechtsstaatlich über Asylanträge zu entscheiden, sowie die Integration von Anfang an zu fördern. Schimkowski, der auch Geschäftsführer des AWO Landesverbandes Baden-Württemberg ist, bezeichnete AnkER-Zentren integrationspolitisch als fatal. Eine menschenwürdige Unterbringung in solchen großen Flüchtlings-, Abschiebungs- und Rückführungslagern sei nicht realisierbar. Asylsuchende würden über Monate und Jahre kaserniert. Dies führe zu Gewalt und weiterer Traumatisierung. Solche Brennpunkte im Gemeinwesen könne keiner wollen. Die Dauer der Unterbringung dürfe keinesfalls verlängert, sondern müsse vielmehr verkürzt werden. Schon jetzt dürften Asylsuchende bis zu sechs Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden, Asylsuchende aus sicheren Herkunftsländern sogar noch länger. Das sei definitiv zu lange. Schimkowski legte ein Positionspapier der Liga der freien Wohlfahrtspflege vor. Unter dem Titel "Asylverfahren und Flüchtlingsaufnahme in Baden-Württemberg - Qualitätsstandards in der Erstaufnahme sichern und weiter ausbauen" enthält das Papier zahlreiche Vorschläge zur Verbesserung der bestehenden Strukturen und ist somit eine Antwort auf das Modell der AnkER-Zentren.
Nach Überzeugung der Liga muss die Zeit in den Erstaufnahmeeinrichtungen genutzt werden, um die Integration der schutzsuchenden Menschen zu fördern. Svenja Hasenberg vom Ausschuss Migration sagte, wichtig sei der Zugang aller Personengruppen zu entsprechenden Angeboten. Als Beispiele nannte sie Kitas, Schulen, Vorbereitungsklassen, gute Sprachkursangebote einschließlich der berufsbezogenen Deutschsprachförderung sowie Ausbildungsförderung und qualifizierte Beschäftigung.
Unterscheidung nach Ländern geht an Realität vorbei
Beate Deckwart-Boller von der unabhängigen Verfahrens- und Sozialberatung in der Erstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe kritisierte, die Unterscheidung nach Ländern mit guter und schlechter Bleibeperspektive gehe komplett an der Realität vorbei. Die meisten Geflüchteten kämen aus Herkunftsländern mit guten Anerkennungschancen. Aber auch, wenn zum Beispiel wie bei Afghanistan nur circa 50 bis 60 Prozent einen Schutzstatus erhalten oder seien es bei anderen Ländern auch nur 30 bis 40 Prozent. "Welchen Sinn hat es da, diese Menschen erst mal von der Integrationsförderung auszuschließen, wenn am Ende viele bleiben dürfen?" so Deckwart-Boller. Menschen, die schon in der Erstaufnahme entsprechend gefördert würden, seien nach der Verteilung auf die Kommunen dort viel schneller integrierbar. Dies sei wichtig auch für die Akzeptanz in der Aufnahmegesellschaft.
Die Verbände der Liga fordern bessere Asylverfahren. Der Vorsitzende des Ausschusses Migration, Jürgen Blechinger, sagte, statt AnkER-Zentren zu errichten solle der Bundesinnenminister das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisatorisch und personell besser ausstatten. Zentrales Element eines fairen und rechtsstaatlichen Asylverfahrens sei die Anhörung zu den Asylgründen. Wenn hier nicht ausreichend qualifizierte Mitarbeitende und gute Dolmetscher-/innen eingesetzt würden mit der nötigen Zeit pro Fall, dann müssten die Verfahren aufwändig von den Verwaltungsgerichten nachbereitet werden. Das sei das Kernproblem in den Jahren 2015 bis 2017 gewesen. Im Ankunftszentrum in Heidelberg zum Beispiel habe man gezeigt, dass zügige Verfahren und Qualität der Entscheidungen kein Widerspruch seien. Im Bundesamt müsse noch viel verbessert werden, zum Beispiel dass die Person, die den Asylsuchenden anhört auch über den Asylantrag entscheidet. Hieran müsse man arbeiten, statt auf Stimmungsmache und Symbolpolitik zu setzen.
Unabhängige Verfahrensberatung ist wichtig für Qualität des Asylverfahrens
Ein zentraler Baustein für qualitativ hochwertige Asylverfahren sei die unabhängige Verfahrens- und Sozialberatung der Wohlfahrtsverbände in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die vom Land Baden-Württemberg seit 2013 finanziert wird. Für diese Aufgabe eigens qualifizierte Sozialarbeiter/-innen der Verbände beraten, unterstützen und begleiten die Geflüchteten in ihrem Asylverfahren und beim Ankommen in einem neuen Land. Streetworker/-innen halten den Kontakt zu Anwohner/-innen und dem Gemeinwesen, um Konflikte möglichst früh zu entschärfen. Zusammen mit Ehrenamtlichen und Initiativen gibt es unterschiedlichste Angebote von der Teestube, Deutschkursen, Hausaufgabenhilfen, Unterstützung bei der Vorbereitung der Anhörung und Begleitung bei Behördengängen und vieles mehr. In einem Modellprojekt des Bundes mit den Wohlfahrtsverbänden zur unabhängigen Verfahrensberatung in den Ankunftszentren Bonn, Gießen und Lebach sei gerade in einem ausführlichen Evaluierungsbericht nachgewiesen worden, welche wichtige Rolle gerade die unabhängige Verfahrensberatung für die Qualität des Asylverfahrens habe und dass dadurch die Verfahren zügiger durchgeführt werden können. "Diese positive Erfahrung machen wir auch hier in Baden-Württemberg", betont Blechinger.